F e r n w e h 

Marlis Schadler

 

Komm komm komm,

ich bin die Ferne, bin das Weh,

ich bin die Weite, bin die See,

ich bin die Welle, bin der Wind.

Komm komm komm,

ich bin die Woge, trag dich fort

an einen unbekannten Ort;

sag dir, wo ferne Länder sind.

Lass die Sorgen, die dich drängen,

mach die Leinen los;

fort von Armut, Leid und Zwängen,

ich bin grenzenlos.

 

Komm komm komm

ich bin die Ferne, bin das Weh,

ich bin die Weite, bin die See,

ich bin die Welle, bin der Wind

Komm komm komm,

ich bin die Woge, trag dich fort

an einen unbekannten Ort;

sag dir wo ferne Länder sind.

Folg nicht mehr den alten Regeln

langsam und an Land

schnell bringt dich der Wind im Segel

an den fernen Strand.

 

Horch horch horch,

ich säusel zärtlich dir ins Ohr,

sing dir die schönsten Lieder vor,

ich bin die Böe, bin der Wind

Horch horch horch,

werd‘ zum Orkan und zum Taifun.

Bald wirst du tief im Meere ruh’n,

wo schon so viele von euch sind.

Suchst hinterm Horizont
Freiheit und Glück,

aber - falls du es nicht findest –

findest du jemals zurück?

 

Komm komm komm

wenn du auch zweifelst oder zagst

wenn du das Abenteuer wagst

wirst du mich endlich ganz versteh’n.

Komm komm komm,

spür, wie ich unterm Kiel mich reg.

Ich bin bei dir auf deinem Weg –

komm lass uns auf die Reise geh’n.

 

Ich muss an das Meer denken

frei nach Cäsar Flaischlen

(1864-1920)

 

Ich muss an das Meer denken
wenn ich deine Augen seh ...
an das Meer ... Sonntag Morgens!

Durchsichtig bis zum Sandgrund
wiegt es sich zum Strand,
mit glasklaren Wellen
und wie leises Glockenklingen
singt es über seine blaue
sonnenfrohe Stille.

 

Und weiße Schiffe ziehn am Horizont,
gleich lichten Träumen in die Ferne suchend ...

 

Doch es lauert in den Wellen
auf dem Grund in blauer Tiefe,

in der Ferne, in die es blicken lässt
stumme Sehnsucht, lockend,
drängend, ...

 

Augen, so blau wie das Meer!

 

Sturmlied

Ricarda Huch
(1864-1947)

 

O Brausen des Meers und Stimme des Sturms
und Irren im Nebelschwarm!
In Hafens Ruhe, im Schutze des Turms,
wie eng und arm.

Ich will kein Kissen mir unters Haupt,
kein Schreiten auf Teppichen weich;
hat mir der Sturm auch die Segel geraubt,
da war ich reich!

O herrliche Fahrt im Windeshauch
hinauf und hinab und zurück!
Nur kämpfend, und unterlieg ich auch,
ist Leben Glück.

 

Am Turme

 Anette von Droste-Hülshoff

(1797-1848)


Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
umstrichen vom schreienden Stare,
und lass' gleich einer Mänade den Sturm
mir wühlen im flatternden Haare.


O wilder Geselle, o toller Fant,
ich möchte dich kräftig umschlingen
und Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand,
auf Tod und Leben dann ringen!


Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
wie spielende Doggen, die Wellen
sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch
und glänzende Flocken schnellen.


O, springen möcht' ich hinein alsbald,
recht in die tobende Meute,
und jagen durch den korallenen Wald
das Walroß, die lustige Beute!


Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn
so keck wie ein Standarte.
Seh' auf und nieder den Kiel sich drehn
von meiner luftigen Warte.


O, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
das Steuerruder ergreifen
und zischend über das brandende Riff
wie eine Seemöwe streifen.


Wär' ich ein Jäger auf freier Flur,
ein Stück nur von einem Soldaten,
wär' ich ein Mann doch mindestens nur,
so würde der Himmel mir raten.


Nun muss ich sitzen so fein und klar,
Gleich einem artigen Kinde,
und darf nur heimlich lösen mein Haar
und lassen es flattern im Winde!

 



Meer aus Zeit

orig. Percy B. Shelley

Übersetzung: Marlis Schadler

 

Maßlose See, unendlich viele Jahre
sind deine Wellen, wie ein Meer aus Zeit,
tränenversalzen durch der Menschen Leid;
du uferlose Flut, auf der ich fahre
bis an die Grenzen meiner Sterblichkeit.


Voll trügerischer Ruhe sind die Wogen
schrecklich jedoch ist deines Sturmes Toben
der an den Strand die Wracks der Schiffe speit,
die du verschlangst voll Gier und Weh.
Maßlose See.

 

Der Krake

orig. Alfred Tennyson

Übersetzung: Marlis Schadler

 

Wo man der Wellen Donner nicht mehr hört
unendlich tief im bodenlosen Meer
uralt und traumlos schläft ganz ungestört
der Krake; Dämmerlicht spielt um ihn her

auf seiner dunklen Haut. Es wuchern dort
jahrtausend alte Schwämme in dem kargen Licht
so hoch und weit, man sieht ihr Ende nicht.
Aus mancher Höhle und verstecktem Ort

wächst der Polyp. Mit tausend Armen winkt
er durch das müde Grün wo Algen weh’n.
Schläft seit Äonen, nur sein Auge blinkt,
wenn er im Schlaf sich Meereswürmer einverleibt
bis ihn das Endzeitfeuer aus der Tiefe treibt.


Einmal von Mensch und Engel nur geseh’n
steigt er dann brüllend auf ...

... bis sterbend er versinkt.

 

Time

Percy B. Shelley

(1792-1822)


Unfathomable Sea! whose waves are years,
Ocean of Time, whose waters of deep woe
are brackish with the salt of human tears!
Thou shoreless flood, which in thy ebb & flow
claspest the limits of mortality,


and sick of prey, yet howling on for more,
vomitest thy wrecks on its inhospitable shore;
treacherous in calm, and terrible in storm,
Who shall put forth on thee,
Unfathomable Sea?

 

The Kraken
Alfred Tennyson

(1809–1892)


Below the thunders of the upper deep;
Far far beneath in the abysmal sea,
His ancient, dreamless, uninvaded sleep
The Kraken sleepeth: faintest sunlights flee

About his shadowy sides; above him swell
Huge sponges of millennial growth and height;
And far away into the sickly light,
From many a wondrous grot and secret cell

Unnumber'd and enormous polypi
Winnow with giant arms the slumbering green.
There hath he lain for ages, and will lie
Battening upon huge seaworms in his sleep,
Until the latter fire shall heat the deep;

Then once by man and angels to be seen,
In roaring he shall rise ...

... and on the surface die.

 

Seemannsgedanken übers Ersaufen

Joachim Ringelnatz

(1883-1934)


Ich sterbe. Du stirbst. Er stirbt.
Viel schlimmer ist, wenn ein volles Faß verdirbt.
Aber auch wir wollen erst ausgetrunken sein.
Besauft euch beizeiten.
Alle Flüssigkeiten
finden sich wieder ins Meer hinein,
wo wir den Schwämmen gleich sind,
wo uns nichts gebricht,
weil wir weich sind.


Und wenn man in eine Leiche sticht:
sie fühlt es nicht.
Wird mich nie mehr acht Glasen wecken,
will ich gerne den Fischen wie Hackfleisch mit Rührei schmecken.
Weil das mit Sinn so geschieht,
denn die haben gewiß nicht vergessen,
wieviel Schollen wir in uns hineingefressen.
Nur bei den Würmern im Sarge ist ein Unterschied.
Wenn uns der Haifisch beim Wickel kriegt –
das müßte mal einer malen!

Was da wohl alles so unten beisammenliegt –
zerbrochene Schiffe, Krebse und Apfelsinenschalen.
Frisch ersoffen also und nicht gejammert,
aber natürlich auch nicht zu übereilt;
Wer sich nicht tapfer noch an die letzte Handuhle klammert,
der ist im Leben nie um die Horn gesailt.
Ein Schuft, wer mehr stirbt, als er sterben muß!
Aber muß es sein, dann nicht schüchtern.
Ersaufen ist auch ein Genuß,
und vielleicht wird man dann nie mehr nüchtern.


Denn nur über das Fleisch und die Knochen
weiß man was, offenbar.
Aber sonst hab' ich noch keinen gesprochen,
der richtig ersoffen war.

 



Am Rand der Flut

Georg Heym

(1887-1912)

 

Am Rand der Flut, auf dem Korallenriff
lag der Taifun. Mit Basiliskenblick,
aus kleinen Lidern, wog er das Geschick
der Dschunken, langsam zählend Schiff bei Schiff.

Nun blies ein Wölkchen er und schob's ins Meer.
So sanft schwamm's auf den Wassern, und so weich.
Ein Federchen auf einem Ententeich,
am Horizonte fuhr es leicht einher.

Da es die Perlenfischer ferne sahn,
erschrak ihr tiefstes Mark. Sie rissen ein
der ausgespannten Segel helle Reihn;
es kappte schnell die Maste jeder Kahn.

Die Schätze warfen alle sie hinab.
Die Perlen rollten in das Meer zuhauf.
Und da sie wieder sahn zum Himmel auf,
da war er grau, wie ein getünchtes Grab.

Nur im Zenit war noch ein rundes Tor,
ein gelber Trichter, wie ein riesger Schlauch.
Draus blies zuerst ein nebelreicher Rauch,
da sprang der Sturm aus seinem Loch hervor.

Ein blauer Drache sprang er auf die Flut.
Das Meer wuchs ihm entgegen riesengroß.
Im Kreise warf's zum Himmel seinen Schoß
und bis zum Grunde fuhr des Sturmes Glut.

In innrem Feuer sogen Mund an Mund.
Sie brüllten laut in der Umarmung Kraft,
blitzarmig hielt der Sturm das Meer 
und Feuer tanzten auf dem Wogenschlund.

Da sie gerast, und matt ward ihre Lust,
ward still der Sturm und glatt der Wogen Kamm.
Doch, wo der Dschunken kleine Flotte schwamm,
da trieben Trümmer auf des Meeres Brust.

 

Zu Schiff

Klabund (Alfred Henschke)
(1890-1928)

 

Flötenspielerinnen schreiben
goldnen Noten in die blaue Nacht.
Dschunken treiben trunken in der Gracht.
Brisen durch die Wiesen treiben.

Der Gott, der auf dem gelben Storche reitet,
lädt mich zum Ritt auf weißer Möwe ein
und ich erlebe mich im heiligen Schein,
der weiß vom Mond zum Meer herniedergleitet.

Die Flöte tönt. Mit meinem Lied erschütter
der heiligen Fünf Hügel ich. Es muß
der hohe Baum zerspilttern im Gewitter. -
Stromaufwärts donnert der bestürzte Fluß.

Flöten schreiben Noten in die Nacht ...

Nachts in der Kajüte

Heinrich Heine

(1797-1856)

 

Eingewiegt von Meereswellen,
und von träumenden Gedanken,
lieg ich still in der Kajüte,
in dem dunkeln Winkelbette.


Durch die offne Luke schau ich
droben hoch die hellen Sterne,
die geliebten, süßen Augen
meiner süßen Vielgeliebten.


An die bretterne Schiffswand,
wo mein träumendes Haupt liegt,
branden die Wellen, die wilden Wellen.


Sie rauschen und murmeln
mir heimlich ins Ohr:
"Betörter Geselle!
Dein Arm ist kurz und der Himmel ist weit
und die Sterne droben sind festgenagelt
mit goldnen Nägeln.


Vergebliches Sehnen, vergebliches Seufzen,
Das Beste wäre, du schliefest ein."

 

Katze vor Anker

Joachim Ringelnatz

(1883-1934)

 
Schlafen die Bewohner
von dem Gaffelschoner
im Kajüt am Heck? -

Weil das Boot vor Anker liegt,
hockt die Katze mißvergnügt
oben auf dem Deck.

Sieht sie Mäuse, Ratten? -
Doch der Wind hat sich gelegt.
Was sich einzig noch bewegt,
ist ihr eigner Schatten.

Vor ihr liegt ein dickes Tau,
rund geschlängelt wie ein Kranz,
viel viel länger als ihr Schwanz.
Ach, miau - miau.

Keine Ratte, keine Maus,
keine Gasse und kein Haus,
nichts, was mitmiaute.

Und die arme Katerbraut
äußert ihren Kummer laut
dort im Strom bei Flaute.

Goodwin Sand

Theodor Fontane

(1819-1898)

 
Das sind die Bänke von Goodwin Sand,
sie sind nicht Meer, sie sind nicht Land,
sie schieben sich, langsam, satt und schwer,
wie eine Schlange hin und her.

Und die Schiffe, die mit dem Sturm gerungen
und die schäumende Wut der Wellen bezwungen
und die gefahren über die Welt,
unzertrümmert, unzerschellt,
sie sehen die Heimat, sie sehen das Ziel,
da schiebt sich die Schlange unter den Kiel
und ringelt Schiff und Mannschaft hinab,
zugleich ihr Tod, zugleich ihr Grab.

Die See ist still, die Ebb' ist nah,
Mastspitzen ragen hier und da,
und wo sie ragen in die Luft,
da sind es Kreuze über der Gruft;
ein Kirchhof ist's, halb Meer, halb Land,
das sind die Bänke von Goodwin-Sand.

 


Mein Leben ist wie leise See

Rainer Maria Rilke

(1875-1926)

 

Mein Leben ist wie leise See:
wohnt in den Uferhäusern das Weh,
wagt sich nicht aus den Höfen.
Nur manchmal zittert ein Nahn und Fliehn:
aufgestörte Wünsche ziehn
darüber wie silberne Möwen.


Und dann ist alles wieder still. . .
und weißt du was mein Leben will,
hast du es schon verstanden?
Wie eine Welle im Morgenmeer
will es, rauschend und muschelschwer,
an deiner Seele landen.

 

Die Stadt

Theodor Storm

(1817-188)

 

Am grauen Strand, am grauen Meer
und seitab liegt die Stadt;
der Nebel drückt die Dächer schwer
und durch die Stille braust das Meer
eintönig um die Stadt.

Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
kein Vogel ohn' Unterlass;
die Wandergans mit hartem Schrei
nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
am Strande weht das Gras.

 

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
du graue Stadt am Meer;
der Jugend Zauber für und für
ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
 du graue Stadt am Meer.