D i e   N a c h t b l u m e

 

 Joseph von Eichendorff

(1788- 1857)

 

Nacht ist wie ein stilles Meer,

Lust und Leid und Liebesklagen

Kommen so verworren her

In dem linden Wellenschlagen.

 

Wünsche wie die Wolken sind,

Schiffen durch die stillen Räume,

Wer erkennt im lauen Wind,

Ob's Gedanken oder Träume? -

 

Schließ ich nun auch Herz und Mund,

Die so gern den Sternen klagen:

Leise doch im Herzensgrund

Bleibt das linde Wellenschlagen.

 

 

D e r   W a l f a f i s c h  

( D a s   Ü b e r w a s s e r ) 

 

Christian Morgenstern

(1871-1914)

 

Das Wasser rinnt, das Wasser spinnt,

bis es die ganze Welt gewinnt.

Das Dorf ersäuft, die Eule läuft,

und auf der Eiche sitzt ein Kind.

 

Dem Kind sind schon die Beinchen nass,

es ruft: Das Wass, das Wass, das Wass!

Der Walfisch weint

und sagt, mir scheint,

es regnet ohne Unterlaß.

 

Das Wasser rann mit zasch und zisch,

die Erde ward zum Wassertisch.

Und Kind und Eul',

o Greul, o Greul -

sie frissefraß der Walfafisch.

D i e   M ö w e   &   M e i n   H e r z

 

Theodor Storm

(1817- 1888)

 

Hin gen Norden zieht die Möwe,

hin gen Norden zieht mein Herz;

fliegen beide aus mitsammen,

fliegen beide heimatwärts.

 

Ruhig, Herz ! Du bist zur Stelle,

fliegst gar rasch die weite Bahn;

und die Möwe schwebt noch rudernd

überm weiten Ozean.

 




E s   s c h l ä f t   d a s   M e e r

 

Friedrich Brunhold

(1811- 1894)

 

Es schläft das Meer!

Kein Windhauch will die leichten Segel schwellen,

Es kräuseln selbst am Strand sich nicht die Wellen;

Klar, spiegelhell ist rings der Grund umher -

Und Abend wird's - es schläft das Meer.

 

Es schläft das Meer !

Im West der Sonne letzte Abendgluthen,

Die legen sich gleich Rosen auf den Fluthen;

Der Tag vermählt der Nacht sich heilig hehr -

Der Mond geht auf - es schläft das Meer.

 

Es schläft das Meer!

Der Vater sitzt daheim im Sorgenstuhle,

Die Mutter summt und singt wohl bei der Spuhle -

Und ich - ich treibe ruhelos umher -

Behüt' euch Gott - noch schläft das Meer.